Demonstrationen gegen Rechtsextremismus: Wo bleibt das "Wir haben verstanden"? German

Wieder protestieren Hunderttausende gegen die AfD und den Rechtsextremismus. Jetzt müsste die Politik ins Reflektieren kommen. Aber bisher sind da nur Selfies.

[…]

Träum weiter, hätten viele noch vor wenigen Wochen gesagt. Doch nun geschieht genau das, was die Kollegin Jana Hensel zu Recht ein “demokratisches Wunder” nennt. Überall im Land lernen sich gerade jetzt Menschen kennen, tauschen Kontakte und schmieden Pläne, wie noch andere aktiviert werden könnten gegen die AfD. Im Kampf gegen die faschistische Gefahr ist erstmals seit Jahren so etwas wie Hoffnung spürbar. Allen, wirklich allen demokratischen Akteuren muss daran gelegen sein, diese Bewegung zu stärken.

Das klingt wie eine Floskel, aber es gibt ganz konkret viel zu tun. Zum Beispiel, die sich häufenden rechtsextremen Einschüchterungsversuche gegen Demonstranten zu benennen und zu verhindern. Wer gegen die Klimaaktivisten der Letzten Generation wochenlange Präventivhaft befürwortete, der sollte gegenüber den Rechtsextremisten besonders laut sein. Und wer noch immer wieder von links eingeengte Meinungskorridore wahrzunehmen glaubt, der sollte spätestens jetzt mal in die Kleinstädte des Ostens fahren, um mitzubekommen, welche Angst es machen kann, sich nach einer Demo gegen die AfD allein auf den Heimweg zu machen.

[…]

Überhaupt ist es merkwürdig, dass bei aller Unterstützung der Proteste durch die demokratischen Parteien nirgends ein lautes Nachdenken darüber einsetzt, was aus ihnen folgen soll. Nirgends in der demokratischen Politiksphäre hört man ein “Wir haben verstanden”, fast nirgends Selbstreflexion über die Tatsache, dass das Gift, das die AfD versprüht, längst auch in der Mitte zu wirken beginnt. Warum genau meiden nicht wenige rassismusbetroffene Menschen die Demonstrationen, warum erkennen viele in ihnen Heuchelei und Doppelmoral? Lohnt es sich für uns, die weiße Mehrheit im Land, nicht doch endlich einmal, zu prüfen, wo unsere blinden Flecken sind?

“Wenn der Bundeskanzler auf dem Spiegel-Cover sagt, ‘Wir müssen im großen Stil abschieben’, fragen wir uns: Sollen wir gehen?”, rief der in Berlin geborene Rapper Apsilon an diesem Samstag auf der Bühne vor dem Reichstag. “Wenn der Anschlag von Halle nicht mal fünf Jahre her ist, aber auf einmal Ausländer wieder die einzigen Antisemiten sind, fragen wir uns: Sollen wir gehen?” Da sprach die gelebte Erfahrung, dass Migrantisierte auch der deutsche Pass nicht davor schützt, kollektiv ausgegrenzt zu werden – und dass es nicht nur die AfD ist, die ausgrenzt.

[…]

Natürlich gibt es kategoriale Unterschiede zwischen der AfD und den demokratischen Parteien. Aber mal spitz gefragt: Was ist eigentlich die Antwort darauf, wenn AfD-Politiker grinsend darauf verweisen, dass auch aus demokratischen Parteien immer wieder Forderungen kommen, Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft bei Straftaten die deutsche abzuerkennen? Reicht es wirklich, nicht die AfD zu sein, um die AfD zu bekämpfen? Soll ansonsten alles gesagt und gefordert werden, vom kleinen Pascha bis zum großen Abschieben, solange es die Mehrheit richtig findet?

Die deutsche Demokratie ist nicht gesund, solange es an manchen Orten ein persönliches Risiko darstellt, Person of Color, jüdisch, queer oder antifaschistisch zu sein. Diese Bedrohung aber gibt es auch deswegen, weil selbst manche demokratischen Politiker immer wieder die Vorstellung verbreiten, es müsse endlich eine homogene Mehrheit der sogenannten normalen Leute gegen böswillige Minderheiten verteidigt werden. Politik auf Basis solcher Ressentiments zu machen, führt in den Autoritarismus. Die gute Nachricht ist: Diese Proteste sind die beste Gelegenheit, als Gesellschaft ein bisschen schlauer zu werden.

GregorGizeh, (edited )

Soll ansonsten alles gesagt und gefordert werden, vom kleinen Pascha bis zum großen Abschieben, solange es die Mehrheit richtig findet?

Ganz ehrlich, ja. Solange die Forderung nicht am demokratischen System rüttelt, muss sie ausgehalten werden, und eine Demokratie ist nicht undemokratisch wenn die Mehrheit nach Abschiebung verlangt. Oder die Einwanderung stoppen will.

Gucken wir uns doch nur die Schweiz an, eine der demokratischsten Demokratien Europas, welche aber auch eins der schärfsten einwanderungsgesetze hat.

Den volkeswillen zu ignorieren weil es der eigenen Agenda nicht passt, wird schon von rechts praktiziert.

Ooops,
Ooops avatar

Aber die breite Masse der deutschen Politik ist doch der Meinung verstanden zu haben. Die gucken auf die Proteste und denken sich, "Oh, die Leute wollen also die AfD nicht. Wenn wir jetzt also den selben fremdenfeindlichen Populismusscheiß in 5% moderater labern, können wir all deren Stimmen abgreifen. Geil!".

rbn, (edited )

Ernst gemeinte Frage: Welche Reaktion würdet du/ihr denn von der Politik erwarten?

Ich war bislang noch nicht persönlich bei einer der Demonstrationen vor Ort, finde es aber dennoch erstmal toll, dass so viele Menschen dafür einsetzen.

Was mich von Beginn an ein wenig stört, ist dass sehr unkonkrete, böse formuliert fast schon etwas populistische Ziele verfolgt werden. “Gegen Rechtsextremismus / für Demokratie / kein Hitler 2.0” sind hat halt derart weit gefasste Forderungen, dass sie erstmal fast jeder mittragen kann. Entsprechend leicht ist es dadurch auch, große Menschenmengen für diesen “kleinsten gemeinsamen Nenner” zu mobilisieren.

Ich wage aber mal zu behaupten, dass diese Einigkeit (leider!) schnell zu bröckeln beginnt, wenn es darum geht, konkrete Maßnahmen abzuleiten.

  • Hohe Investitionen in Bildung, Medienkompetenz und politische Aufklärung (hohe Kosten)
  • Verringerung der sozialen Ungleichheit und Unzufriedenheit, Erhöhung des Mindestlohns etc. (hohe Kosten)
  • Menschenwürdiger Umgang mit Flüchtlingen, Durchsetzung des Rechts auf Asyl, Seenotrettung, hohe Investitionen in Integration, Bildungschancen, Anerkennung ausländischer Abschlüsse, Chancen am Arbeitsmarkt (hohe Kosten und “sIe KlAuN uNsRe JoBs”)
  • Gleichstellung von LGBTQ-Partnerschaften, (keine hohen Kosten aber trotzdem sehr kontrovers)
  • Rechtliche Gleichstellung aller Religionen (entweder Privilegien wie Kirchenglocken abschaffen oder auch Minarette etc. zulassen)
  • Politiker für bewusste Lügen zur Rechenschaft ziehen, z.B. jede Falschaussage muss in ähnlich großem Rahmen wieder richtig gestellt werden wie die Lüge (Lüge auf X - ehemals Twitter = Richtigstellung auf X - ehemals Twitter etc.)
  • Hohe Transparenzauflagen und hohe Hürden hinsichtlich Nebeneinkünften von Mandatsträgern
  • Verbot des Fraktions- und Koalitionszwangs im Bundestag, mehr Bürgerbeteiligung, direktere Demokratie
  • STEUERERHÖHUNGEN für Mittel- und Oberschicht um diese Maßnahmen zu finanzieren

Ich würde mir wünschen, dass so viele dieser Maßnahmen wie möglich umgesetzt werden. Ich bin mit aber auch bewusst, dass jeder dieser Punkte viel kontroverser sind als die Aussage “gegen Rechtsextremismus”. Ähnlich wie beim Klimaschutz sind leider auch hier viele nur solange dafür, wie es sie selbst nicht betrifft und ihnen keinerlei potentielle Nachteile dadurch entstehen.

Laut aktueller Sonntagsfrage stellen übrigens mit CDU (31%), FDP (4%) und AfD (19%) die (in unterschiedlichen Abstufungen) rechten Parteien mit 54% die absolute Mehrheit. Bei der letzten Bundestagswahl waren es noch 45,9% und die AfD stand bei der Hälfte. Angesichts dieser Entwicklung finde ich es schwer, den Wunsch der Bevölkerung nach linkerer und weniger populistischer Politik herauszulesen, egal wie viele derzeit demonstrieren. So sehr ich mir auch wünschen würde, dass es anders wäre.

Haven5341,

Welche Reaktion würdet du/ihr denn von der Politik erwarten?

Ganz einfach, dass sie aufhört rassistische/chauvinistische Narrative in die Bevölkerung zu bringen und sie so zu normalisieren. Sei es: “Kleine Paschas”, “Sozialtourismus” oder der Spruch von Scholz, mit dem er auf das Cover vom Spiegel gekommen ist.

Was jetzt nämlich läuft ist ein “Die AfD ist scheiße aber unser Alltags-Rassismus hier ist eigentlich voll ok”. Das wäre schon mal ein erster Schritt und er ist sogar ganz einfach. Man muss nur wollen und mein Gefühl ist: Sie wollen nicht so richtig darauf verzichten.

Das wäre für mich der allererste Punk und schon daran scheitern viele.

Angesichts dieser Entwicklung finde ich es schwer, den Wunsch der Bevölkerung nach linkerer und weniger populistischer Politik herauszulesen

Es geht auch nicht darum, was man herausliest. Es geht darum was man tut und was man nicht tut und man kann auch Politik machen, ohne dass man selbst auf Rassismus zurückgreift.

Im übrigen sind doch einige der von dir aufgelisteten Ding schon längst mehrheitsfähig, unabhängig von den Umfragen und Wahlergebnissen. (Bsp. beim Mindestlohm (Mindestlohn von 14 Euro? 70 Prozent der Deutschen sind dafür), bei der Bildung(Befragung: Knapp 80 Prozent der Deutschen für mehr Investitionen in Bildung), bei Gleichstellung von LGBTQ-Partnerschaften (Trotz Verlusten: Mehrheit für Ehe für alle und Adoptionsrecht, …

rbn,

Gerade die CDU hat aber seit der letzten Bundestagswahl trotz und teilweise auch wegen der Kontroversen Aussagen von Merz (kleine Paschas, Sozialtourismus) Boden gutmachen können. Sehr erschreckend aber das zieht sich durch sämtliche Umfragen.

Dass die Mehrheit einen höheren Mindestlohn fordert, finde ich gut. Hatte ich nicht auf dem Schirm. Wenn wir an der sozialen Leiter eine Sprosse nach unten klettern hört es dann aber auch leider wieder auf mit Solidarität. “Bürgergeld erhöhen für die faulen Schmarotzer? Nix da!” mdr.de/…/mdrfragt-umfrage-buergergeld-hoehe-ausza…

Dass die Leute für mehr Bildung sind, finde ich erstmal nicht überraschend. (Positiv) überraschen würde mich, wenn die Leute dafür auch willentlich höhere Steuern akzeptieren würden. Sonst wären wir wieder beim “alles gerne machen, solange es mir persönlich keine Nachteile bringt”.

Sodis,

Ständig Umfragen heranzuziehen, um irgendwelche Stimmungen in der Bevölkerung abzufragen, ist aber auch nicht das Mittel der Wahl. In den meisten Fällen bildet sich darin die Berichterstattung der vergangenen Tage ab. Wenn Klima oft ein Thema war, dann ist das Thema Klima bei den Menschen auch höher gewichtet. Wenn Sozialschmarotzer im Bürgergeld ständig überall erwähnt wird, dann sind die Menschen gegen eine Bürgergelderhöhung.
MDR fragt ist übrigens nicht repräsentativ. Da kann man mitmachen, wenn man sich einen Account erstellt und in der Region wohnt. Das ist was Journalismus angeht einfach unter aller Sau. www.mdr.de/nachrichten/mitmachen/…/index.html

ris,

Zum Beispiel, die sich häufenden rechtsextremen Einschüchterungsversuche gegen Demonstranten zu benennen und zu verhindern. Wer gegen die Klimaaktivisten der Letzten Generation wochenlange Präventivhaft befürwortete, der sollte gegenüber den Rechtsextremisten besonders laut sein. Und wer noch immer wieder von links eingeengte Meinungskorridore wahrzunehmen glaubt, der sollte spätestens jetzt mal in die Kleinstädte des Ostens fahren, um mitzubekommen, welche Angst es machen kann, sich nach einer Demo gegen die AfD allein auf den Heimweg zu machen.

Hä? Aber diejenigen, die da einfach so Menschen wegsperren wollen oder glaubt, dass linke verbieten würden etwas zu sagen, sind doch meist rechts(extrem)

fast nirgends Selbstreflexion über die Tatsache, dass das Gift, das die AfD versprüht, längst auch in der Mitte zu wirken beginnt

Es wird ja auch von den Parteien in geringeren Dosen versprüht, die für sich die Mitte deklarieren.

taladar,

Parteien […] die für sich die Mitte deklarieren.

Das tun alle Parteien, die AfD nennt es “Volk” statt Mitte aber sonst scheint das zumindest bei den Parteien die nicht unter “Sonstige” zusammen gefasst werden weit verbreitet. Erinnert alles ein wenig an Nixon’s “Silent Majority” und ähnliche rhetorische Konstrukte.

Faust,

Warum etwas ändern, wenn Hunderttausende dafür demonstrieren, dass du das kleinere Übel bist?

Blaubarschmann,

Ich glaube die Politik tut sich schwer mit einer Änderung ihres Handelns als Reaktion auf die Proteste, weil das ein Eingeständnis erfordern würde, dass man etwas falsch gemacht hat. So kann man aktuell die Schuld allein der AfD und ihren Wählern zuschieben, die demokratischen Parteien haben mit dem Rechtsruck ja absolut gar nichts zu tun. Da muss einfach noch mehr Druck aufgebaut werden in diese Richtung, dass das Nachplappern von AfD-Forderungen nicht länger akzeptiert wird

sic_1, (edited )

Das ist ein guter Punkt. “Die Politik (-er)” halte ich meist für einen schwierigen Begriff weill es zu stark vereinfacht aber in diesem Fall kann man schon einen roten Faden durch alle Parteien, Fraktionen, Gruppierungen und Individuen erkennen.

CDU und FDP machen aktiv Propaganda für die AfD und haben sich auf verschiedene Arten quasi in eine Sackgasse begeben, in der eine Koalition mit der AfD bald ausweglos ist. SPD laufen wie immer mit ein wenig Abstand der CDU hinterher und warten darauf umzukippen, wie ein braver Sub. Grüne stehen allein da, können sich nicht zwischen Rückgrat und Kompromiss entscheiden und wirken daher halbherzig. Linke… na ja, das Chaos bei denen hat die zumindest für jetzt völlig irrelevant gemacht.

brotundspiele,

Ob das Chaos die linken irrelevant gemacht hat, würde ich erstmal abwarten. Jetzt wo die ganzen viele Putniks und Stalinistys die Partei in Richtung BSW verlassen, könnte sie für viele überhaupt erst wieder wählbar werden.

Topas,

Möglich. Aber ich sehe das nicht bis zur nächsten Bundestagswahl. Da ist zuviel passiert, als das mit einem schnellen Bekenntnis hinzubiegen wäre. Vielleicht übernächste Wahl, wenn sich das wieder glaubhaft zurechtgerückt hat.

tryptaminev,

Ich stimme dir voll zu und finde man sieht das auch sehr gut in der Frage um “importierten” Antisemitismus, die im Text zitiert wird. Es will niemand in der Politik Verantwortung übernehmen und sagen, dass sie etwas falsch gemacht haben. Aber es will auch kaum jemand in der Bevölkerung anerkennen, dass sie etwas falsch gemacht haben, und die Politik will es ihnen auch nicht zumuten.

Wieviele Leute haben sich darauf ausgeruht, dass Antisemitismus jetzt von den Moslems komme, während Onkel Herbert beim Kaffekränzchen von Globalisten geschwafelt hat?

Wieviele Leute, die jetzt Angst haben, weil die AfD und CDU auch sie deportieren wollten, weil sie für mehr Radwege oder schwul sind, haben zuvor Migration als großes Problem gesehen, und sich über Scholzs Abschiebungen gefreut?

Wieviele Leute meinen auch jetzt, sie seien keine Rassisten, geben Stellen aber nur dann an Nichtweiße, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt und sagen ihren Kindern, sie sollen lieber mit August als mit Achmed spielen?

manucode,

Ah, ihr wollt das wir mal öfters über’s Abschieben reden. Danke für die Info, GaLiGrü, Olaf und Fritz

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